Klassische Homöopathie

Was ist klassische Homöopathie?

Homöopathie ist eine Heilmethode mit Arzneien, die nach Prüfung ihrer Wirkung am Gesunden aufgrund der individuellen Krankheitszeichen des Patienten auf der Basis des Ähnlichkeitsprinzips als Einzelmittel zur Heilung und Linderung von Krankheiten angewendet werden. [1]

Die Homöopathie ist ein eigenständiges Therapiesystem mit einer eigenen Lehre über Entstehung, Verlauf und Behandlung von Krankheiten. Es gibt vier Grundprinzipien, die konstitutiv für die Homöopathie sind:

1. Homöopathische Arzneimittelprüfung

Dabei nehmen gesunde Probanden eine Substanz in mehr oder weniger großen Dosen ein und beobachten, wie ihr Organismus darauf reagiert. Alle körperlichen, seelischen und geistigen Veränderungen werden genau dokumentiert. Diese Symptome werden gesammelt und aufgezeichnet.

Grundsätzlich kann jede Substanz geprüft werden. Der homöopathische Arzneischatz enthält im Wesentlichen

Pflanzen (z.B. Belladonna, Chamomilla, Pulsatilla)

Mineralien und Metalle (z.B. Kalium carbonicum, Phosphorus, Sulfur)

Tiere und Tierstoffe (z.B. Ambra, Apis, Sepia)

Nosoden (Arzneien, die aus Krankheitsprodukten hergestellt werden, z.B. Carcinosinum, Medorrhinum, Tuberculinum).

Alle Substanzen sollten an Gesunden geprüft worden sein, bevor sie zum Einsatz gelangen.

2. Einzelmittel

In der Homöopathie wird immer nur eine einzige Arzneisubstanz auf einmal verabreicht. Es entspricht nicht den Regeln der Homöopathie, ein Gemisch aus mehreren Substanzen zu rezeptieren. Die Einzelmittelgabe ist das herausstechende Charakteristikum der Homöopathie.

3. Ähnlichkeitsregel

Es soll dasjenige Mittel verabreicht werden, das in der Arzneimittelprüfung an Gesunden die ähnlichsten Beschwerden hervorgerufen hat. Ein Patient, der beispielsweise unter hämmernden Schmerzen in der rechten Stirn leidet, die bei leichter Berührung der Haare zu- und bei festem Druck auf die Stirn abnehmen, erhält ein Mittel, das möglichst ähnliche Beschwerden während der Arzneimittelprüfung hervorgerufen hat.

Similia similibus curentur –

Ähnliches soll mit Ähnlichem behandelt werden

Diese Handlungsanweisung ist die entscheidende therapeutische Regel der Homöopathie. Der Terminus “Homöopathie” leitet sich direkt daraus ab: homoi- = ähnlich und pathos = Leiden.

Die Wahl des richtigen Mittels hängt von der individuellen Symptomatik des Patienten ab. Die Diagnose der Krankheit spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Um die individuelle Symptomatik in ihrer ganzen Spannweite zu erfassen, ist eine ausführliche Anamnese erforderlich. Eine vollständige homöopathische Anamnese inklusive körperlicher Untersuchung und Beratung ist zeitaufwendig und dauert mindestens 45-60 Minuten (Kinder) bzw. 60-90 Minuten (Erwachsene).

4. Verwendung kleinster Arzneigaben

Bei Verabreichung einer Arznei, die in der Lage ist, ähnliche Symptome des Patienten hervorzurufen, besteht die Gefahr einer Verschlimmerung der Beschwerden. Deswegen werden die Arzneien in der Homöopathie in so geringer Dosis wie eben nötig verabreicht.

Das im Homöopathischen Arzneibuch (HAB) geregelte Herstellungsverfahren besteht aus einer stufenweisen Verdünnung mit zwischenzeitlicher mechanischer Bearbeitung (Verreiben und Verschütteln).

Homöopathen bezeichnen die fertigen Arzneien als Potenzen, da sie seit zweihundert Jahren die Erfahrung gemacht haben, dass diese Arzneien im menschlichen Organismus eine Wirkung entfalten, obwohl sie ab einem bestimmten Verdünnungsgrad (C12 bzw. D24) nur noch zufällig Moleküle der Ausgangssubstanz enthalten. Daher ist das besondere Herstellungsverfahren seit jeher der bedeutendste Streitpunkt zwischen Anhängern und Gegnern der Homöopathie.

Es gibt drei wichtige Potenzarten:


C-Potenzen C = centesimal Verhältnis 1:100

D-Potenzen D = dezimal Verhältnis 1:10

Q- / LM-Potenzen Q = quinquagiesmillesimal Verhältnis 1:50.000

Man erhält homöopathische Arzneien heute in Form von Globuli, Tropfen, Tabletten, Pulver und Ampullen. Am weitesten verbreitet sind die charakteristischen Kügelchen = Globuli.

Homöopathie in der heutigen Praxis

Diese vier Grundprinzipien gelten unverändert seit rund 200 Jahren. Sie wurden erstmals von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) formuliert und zu einem Heilsystem zusammengefasst. Hahnemann selbst und viele seiner Nachfolger haben im Lauf der Jahrzehnte weitere, allerdings weniger bedeutende Prinzipien hinzugefügt, so dass es heute verschiedene Strömungen innerhalb der Homöopathie gibt. Das eigentliche Fundament wurde dabei jedoch nicht angetastet.

Eine Heilmethode, die sich seit zwei Jahrhunderten in ihren Grundprinzipien nicht gewandelt hat – das klingt alles andere als modern. Dennoch ist die Homöopathie ein Verfahren, dass sich sehr gut in die gegenwärtige Medizin integrieren lässt, denn sie enthält viele Aspekte, die auch in der konventionellen Medizin von heute diskutiert werden.

In der Homöopathie geht es z.B. darum, spezifische Therapieansätze für individuell erkrankte Menschen zu suchen, nicht aber schematische Lösungen für bestimmte Diagnosen. Im Zentrum der Behandlung steht die Anregung von Selbstheilungsprozessen durch homöopathische Arzneien. Flankiert wird die medikamentöse Therapie durch diätetische Maßnahmen mit Bezug auf Lebensstil und Ernährung.

Das wichtigste Instrument des homöopathischen Arztes bei Diagnostik und Therapie ist das Erfassen sowohl der objektiven als auch der subjektiven Krankheitserfahrungen in Form der homöopathischen Anamnese. Hierbei steht das Gespräch zwischen Therapeut und Arzt im Mittelpunkt. Die „Sprechende Medizin“ (narrative-based medicine) ist die Basis der Analyse des kranken Patienten, der Arzneimittelprüfung und der klinischen Verifikation sowie der schriftlichen Dokumentation.

Die homöopathische Therapie setzt ein individuelles Verständnis des Patienten und seiner Krankheitsgeschichte voraus. Dies ermöglicht den Aufbau einer intensiven therapeutischen Beziehung zwischen Therapeut und Patient.

Die physiologische Basis der Ähnlichkeitsregel liegt in der Anpassungs- und Regulationsfähigkeit des lebenden Organismus. Erkrankt ein Mensch, therapiert man ihn mit einer Arznei, die bei der Prüfung am Gesunden ein möglichst ähnliches pathogenetisches Potential entfaltet. Der Organismus des Kranken wird auf den Arzneireiz mit regulativen Prozessen reagieren und im Idealfall eine Genesung hervorbringen.

Die Homöopathie vertraut dabei den Selbstheilungskräften des Organismus. Was vor 200 Jahren mit dem Begriff „Lebenskraft“ umschrieben wurde, stellt bis heute eines der größten Rätsel der Medizin dar. Wie gelingt es Organismen, sich von schweren Krankheiten zielgerichtet zu heilen, wie organisieren sich Selbstheilungsprozesse und wie können Therapeuten diese Kräfte anregen, steuern und nutzen?

Die methodische Anwendung des Ähnlichkeitsprinzips zur Induktion von Heilungsprozessen macht die Homöopathie darüber hinaus zu einer nachvollziehbaren, praktischen Wissenschaft. Resultate ihrer 200-jährigen Geschichte sind ein ständig wachsender Schatz systematischer Arzneimittelprüfungen, Kasuistiken, Studien, Arzneimittelbeschreibungen, Repertorien, pharmazeutischer Anleitungen sowie Ergebnisse der Grundlagenforschung. Auch wenn für die Hochpotenzen der Wirkmechanismus bis heute nicht geklärt ist, zeigt die moderne Versorgungsforschung klar das Potential für die Praxis.

Häufig wird in der Diskussion um die Wirksamkeit homöopathischer Hochpotenzen das Argument vorgebracht, es handle sich dabei um „den Tropfen im Bodensee“. Fragen wir einmal andersherum: Ist es nicht für jeden Therapeuten faszinierend, mit einem „Tropfen im Bodensee“ und einer systematischen und zugleich kreativen Vorgehensweise komplex chronisch erkrankte Menschen zur Heilung zu führen? Handelt es sich nicht bei dieser Form der therapeutischen Minimalintervention mit großem Effekt um eine ausgesprochen praktische und klinisch nützliche Heilkunst?

Fazit: Homöopathie vertraut auf die Heilungspotentiale des Organismus, induziert diese durch sanfte und spezifische Reize und basiert auf „Sprechender Medizin“. Sie pflegt einen kritischen Umgang mit nebenwirkungsreichen konventionellen Interventionen und ermutigt den Patienten dazu, auf die ihm innewohnenden Heilkräfte zu vertrauen. Somit ist die Homöopathie in der heutigen modernen Medizin eine ideale komplementäre Therapiestrategie in der medizinischen Basisversorgung.

Literatur

[1] Teut M, Dahler J, Lucae C, Koch U: Kursbuch Homöopathie. München: Elsevier/Urban & Fischer 2008 -Google Books